Dies Domini – Zweiter Fastensonntag, Lesejahr B
Ausgezogen – so fühlt sich mancher, der sich in der Hoffnung auf einen schnellen Gewinn auf einen Hütchenspieler eingelassen hat. Geködert durch zwei, drei rasche Gewinne wähnte er sich schon auf dem Gipfel des Glücks. In der suggerierten Gewissheit der eigenen schnellen Auffassungsgabe wird der Einsatz immer höher. Die Versuchung, den ganz großen Gewinn für sich alleine einzuheimsen, trübt aber schließlich die Wahrnehmung und führt zum Absturz. Die Hütchen sind leer und der Hütchenspieler hat nicht nur die Kugel verborgen in der Hand, sondern auch den Willen des so Betrogenen. Wenn die Emotion über die Information siegt, bleibt eben nicht nur der Verstand auf der Strecke; auch das wohlige Gefühl des Sieges weicht der schrecklich kalten Leere des Verlustes.
Geiz und Gier sind mächtige Triebe der menschlichen Existenz. Sie sichern auf ihre Weise das Überleben. Der Mensch neigt von Natur aus nicht zur Opferbereitschaft. Eigensicherung geht vor. Das ist nur zu verständlich. Das kollektive wie das individuelle Bewusstsein aber neigt zu nackter Existenzangst. Wer weiß schon, was die Zukunft bringt. Zu haben ist besser als zu hoffen. Und die Bitte um das heutige Brot (vgl. Matthäus 6,11) wird schon in der Bibel selbst zu einer Bitte um das tägliche Brot (vgl. Lukas 11,). Und weil sicher sicher ist, lohnt es sich auf jeden Fall zu beten:
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Das Gefühl des Außergewöhnlichen stellt sich bei soviel Sicherheitsstreben üblicherweise nicht ein. Die Erkenntnis der eigenen Bedeutungslosigkeit lastet schwer auf dem Menschen, der doch die Krone der Schöpfung sein möchte. Einmal Sieger sein, einmal über den anderen stehen, einmal auserwählt sein, einmal das Gefühl des Gipfelstürmers erleben – das ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis.
Die Sucht nach dem Auserwähltsein treibt nicht nur in der Welt ihre eigenen Blüten. Castingshows leben von den Süchtigen, die sich dann meist zum Zwecke der Unterhaltung der Massen vor laufender Kamera selbst entwürdigen. Auch in der Kirche kann man das Streben nach Besonderheit entdecken. Wer einigermaßen glaubhaft machen kann, den Ruf Gottes persönlich vernommen zu haben, darf sich der Bewunderung derer sicher sein, die sich nach einer solchen Anrufung sehnen. Dass auch sie längst gerufen wurden, spielt dabei keine Rolle. Denn der Ruf Gottes gilt jedem, den er, indem er seinen Lebensatem einhaucht, ins Leben gerufen hat. Das aber ist so selbstverständlich, dass es schon das Besondere braucht, das Außergewöhnliche, eine besondere Berufung, eine besondere Christusbeziehung – wobei meist ungeklärt bleibt, welchem Christus die Beziehung gilt: dem historischen, dem verkündeten oder dem, den man gerne hätte.
Auch viele Glaubende scheinen also die außergewöhnliche Erfahrung zu brauchen. Der Zweifel könnte sonst nagen. Es braucht doch die Gewissheit, damit sich das Glücksgefühl des Glaubenssieges auch einstellt. Gerade in Zeiten der Anfechtung von Außen, in denen der Wind des Zeitgeistes besonders eisig weht, muss man die Ritzen und Fugen in der Hütte der Kirche deshalb gut abdichten, damit nicht zu viel Energie nach draußen dringt. Man kehrt vielleicht noch vor der eigenen Tür. Ansonsten rückt die kleine Gemeinschaft enger zusammen. In dieser vertrauten Kuscheligkeit kann man sich dann in der kleinen Kirchenhütte daran erfreuen, zum auserwählten, heiligen Rest zu gehören. Die Geistlichkeit dieser Gemeinschaften besteht dann meist in einer selbstredundanten Autosuggestion – während der Geist Gottes weiter in Raum und Zeit einer Welt weht, die er selbst durch sein bloßes Wort ins Dasein gerufen hat. Und so fallen die Hüttchenspieler dem eigenen Selbstbetrug anheim, der sie an der Erkenntnis hindert, dass der Heilige Geist auch im Zeitgeist weht.
Das Spiel mit Hütten ist nichts Neues. Das Glück einzumauern, den Moment zu fixieren, den Augenblick zum verweilen zu zwingen, die Ahnung der Ewigkeit dauerhaft zu konservieren – das alles treibt den Menschen in seinem Ausgeliefertsein an Raum und Zeit um. Und so hat der Mensch eine außergewöhnliche Meisterschaft darin entwickelt, die Flüchtigkeit seiner Existenz, die stete Erfahrung von Werden und Vergehen, die Erkenntnis der eigenen Kontingenz – also der Nichtnotwendigkeit der eigenen Existenz – und der damit verbundenen Erkenntnis der eigenen Gewöhnlichkeit immer wieder aufs Neue zu kompensieren. Er baut sich Denkmäler und Hütten, verleiht Orden und Ehrenringe, sammelt die kleinen und großen Trophäen des Lebens, um den Hauch des Besonderen doch noch einzufrieren.
Den Hauch der Ewigkeit, das Aufblitzen der Herrlichkeit Gottes, ist auch Petrus, Jakobus und Johannes in der Erzählung zuteil geworden, die im Evangelium vom zweiten Fastensonntag im Lesejahr B verkündet wird. Jesus nimmt diese drei, die später einmal als Säulen der Jerusalemer Urgemeinde gelten werden und gewissermaßen das Leitungsgremium des Kreises der zwölf Apostel bilden (vgl. Galater 2,9), mit auf einen hohen Berg. Dort wird ihnen die außergewöhnlich Erfahrung der Verklärung Jesu zuteil:
Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann. (Markus 9,2b.3)
In dieser sogenannten Verklärung Jesu verbinden sich gewissermaßen Erde und Himmel, Zeit und Ewigkeit. Im menschgewordenen Gottessohn scheint die Herrlichkeit Gottes auf. Er ist Teil dieser Weltzeit und doch ganz in der Ewigkeit. Die Ewigkeit kann sich nicht in der Zeit manifestieren. Das Wesen der Zeit ist Werden und Vergehen, das der Ewigkeit das dynamische, unvergängliche Jetzt. In der Verklärung ist Jesus dem Werden und Vergehen enthoben. Die Dynamik des ewigen Jetzt wird hingegen in der Kommunikation zwischen Jesus, Moses und Elija deutlich:
Da erschien vor ihren Augen Elija und mit ihm Mose, und sie redeten mit Jesus. (Markus 9,4)
Der Text lässt ungeklärt, woran Mose und Elija zu erkennen sind. Das scheint an sich auch nicht wichtig zu sein. Wichtig ist die damit verbundene Botschaft: Mose ist der Repräsentant des Exodus Israels aus Ägypten und des damit verbundenen Bundesschlusses Gottes mit seinem auserwählten Volk. Elija hingegen steht für die Ankündigung des bevorstehenden messianischen Gerichtes. Er ruft das Volk Israel zur letzten und endgültigen Umkehr. So heißt es bei dem Propheten Maleachi:
Bevor aber der Tag des Herrn kommt, der große und furchtbare Tag, seht, da sende ich zu euch den Propheten Elija. Er wird das Herz der Väter wieder den Söhnen zuwenden und das Herz der Söhne ihren Vätern, damit ich nicht kommen und das Land dem Untergang weihen muss. (Maleachi 3,23f)
Das Aufleuchten der göttlichen Herrlichkeit in dem strahlenden, überirdischen Weiß, das Jesus umfängt, das Erscheinen des Mose, dem großen Anführer Israels bei dem Auszug aus Ägypten, der Urerfahrung des auserwählten Volkes und das Auftreten des Elija als des messianischen Vorläufers, überfordert die Irdischen. Die Besonderheit des Hereinbrechen des Himmels lässt die Irdischen taumeln. Benommen vor Furcht stammelt Petrus:
Rabbi, es ist gut, dass wir hier sind, Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija. (Markus 9,5)
Er, Jakobus und Johannes können ihr Glück wohl kaum fassen und sind doch wie gelähmt. Die Dynamik des Ewigen, das mächtige Wehen des Geistes, die Unbeherrschbarkeit des Heiligen zu zähmen ist nur natürlich für die vor Überforderung von Angst Befallenen. Hüttchen zu bauen, das ist das, was die Menschen können, Hüttchen für den Ewigen, dem es aber viel besser draußen in der Welt gefällt, wie auch David lernen musste, der dem Unberechenbaren doch lieber einen festen Platz zuweisen möchte:
Als nun der König [David] in seinem Haus wohnte und der Herr ihm Ruhe vor allen seinen Feinden ringsum verschafft hatte, sagte er zu dem Propheten Natan: Ich wohne in einem Haus aus Zedernholz, die Lade Gottes aber wohnt in einem Zelt. Natan antwortete dem König: Geh nur und tu alles, was du im Sinn hast; denn der Herr ist mit dir. Aber in jener Nacht erging das Wort des Herrn an Natan: Geh zu meinem Knecht David und sag zu ihm: So spricht der Herr: Du willst mir ein Haus bauen, damit ich darin wohne? Seit dem Tag, als ich die Israeliten aus Ägypten heraufgeführt habe, habe ich bis heute nie in einem Haus gewohnt, sondern bin in einer Zeltwohnung umhergezogen. (…) Nun verkündet dir der Herr, dass der Herr dir ein Haus bauen wird. (2 Samuel 7,1-6.11b)
Das Heilige zu zähmen ist ein Reflex, der seinen Grund in der Überforderung des Menschen hat. Und so wird er zum Architekten von Hüttchen, in denen der Geist nur noch in verträglicher Klimatisierung bläst. Wer das Glück in diesem Hüttchenspiel zwingen will, wird aber letztlich nichts gewinnen, sondern schlussendlich sogar alles verlieren.
Die Kirche ist mittlerweile voll von solchen Hüttchen geistlicher Selbstgenügsamkeit. Die meisten Hüttchen haben ausreichend Platz für den sich selbst feiernden heiligen Rest, der gerne von verbeulten Kirchen und dem großen Aufbruch redet, aber dann doch Angst vor der eigenen Courage bekommt. Der so beschworene Aufbruch ist keine Vision mehr, sondern eine Utopie. Und immer dann, wenn ein Bischof wieder zum Aufbruch aufruft, kommen die Dompteure zur Zähmung.
Am ersten Fastensonntag wurde in den Kirchen des Erzbistums Köln der erste Fastenhirtenbrief des neuen Kölner Erzbischofs Rainer Maria Kardinal Woelki verlesen. Kardinal Woelki fordert darin einen zweifachen Aufbruch. Er mahnt zu einer stärkeren Orientierung des Kirche-Seins an der Heiligen Schrift als dem Buch der Kirche. Vor allem aber fordert er eine gemeindliche und kirchliche Erneuerung, die
„kein administrativer Vorgang, sondern ein geistlicher Weg [ist], der in der Begegnung mit dem Herrn in Gebet, Heiliger Schrift und der Feier der Hl. Eucharistie gründet.“ (Rainer Maria Kardinal Woelki, Du sollst ein Segen sein. Fastenhirtenbrief 2015)
Er empfiehlt dazu
„christliche Gemeinschaften (…) [als] Oasen des Miteinander-Glaubens, des Trostes, der Nachdenklichkeit, des Zuhörens, auch des Weinens und des Lachens über das Leben.“ (Ebd.)
Wer jetzt hierin den Rückzug in die kleinen Hüttchen auch manch schon bestehender geistlicher Gemeinschaft zu erkennen glaubt, wird enttäuscht:
„Dabei meine ich mit solchen Oasen keine kuscheligen Kleingruppen, sondern Glaubensgemeinschaften, in denen Trost und Herausforderung gleichermaßen gelebt und geteilt werden; Glaubensgemeinschaften, auf die auch andere aufmerskam werden, weil sie tätig werden im Nahbereich ihrer Nachbarschaft und des Sozialraums für diejenigen, die der Unterstützung bedürfen; Glaubensgemeinschaften, die wie Jesus auch die Versuchungen der Zeit kennen, sich nicht scheuen, darüber zu reden und eine Haltung finden, sich ihnen entgegenzustellen.“ (Ebd.)
Der Ort solchen kirchlichen Handelns ist also die Welt und nicht die kleine, vertraute gemeindliche Kirchenhütte des Pfarrheims. Kardinal Woelki erkennt, wie wenig man den Heiligen zähmen kann, wenn er mahnt:
„Wenn wir eine solche Kirche sein wollen, ein Kirche mit Zukunft, dann dürfen wir uns nicht in den Käfig der Vergangenheit verkriechen. (…) Auch wenn wir heute die zukünftige Sozialgestalt der Kirche noch nicht zu erahnen vermögen – Gott wird mit uns sein.“ (Ebd.)
Manch ein Kommentator erblickt hierin die Ankündigung erneuter Strukturreformen. Doch das greift viel zu kurz. Die Reformen, die hier angekündigt werden, greifen viel tiefer. Sie verändern die Perspektive und die Paradigmen. Hier geht es nicht primär um eine abermalige Vergrößerung von Pfarreien. Hier geht es vor allem um eine Hinwendung zu Welt als dem wahrhaften Ort der Verkündigung des Evangeliums:
„Wir werden einerseits kirchliches Leben zu stärken, andererseits den Blick zu weiten haben, um auch die Menschen wahrzunehmen, die am Rande der Kirche stehen oder die Gott nicht kennen. Es darf uns doch nicht nur um die 7-12% derer gehen, die sonntags die Hl. Messe mitfeiern oder gar nur um die in der Regel noch kleinere Gruppe der sogenannten Kerngemeinde. Vielmehr haben wir auch die andern 85-90% im Blick zu behalten, und zwar so, dass diese innerlich beteiligt sind, mit Christus in Verbindung kommen und sich selbst als einen lebendigen Teil von Kirche erfahren.“ (ebd.)
Aus manchen Kirchenkreisen ist schon zu hören, das sei doch eine Überforderung. Man wolle lieber unter sich bleiben, um vor der eigenen Haustür handlungsfähig zu bleiben. Diese Hüttchenspieler haben schon verloren, bevor das Spiel beginnt. Der Exodus, der große Auszug hat schon längst begonnen.
Welt und Kirche aber brauchen keine Hüttchenspieler. Es braucht jetzt Pioniere, Pfadfinder und Brückenbauer. Es braucht gestandene Männer und Frauen, die mit der lebensgestandener Kompetenz in den Alltag gehen, die vom Berg herabsteigen in die Niederungen der Welt um dort den zu verkünden, der doch schon längst da ist: den von den Toten auferstandenen Menschensohn, dessen Herrlichkeit in allem aufleuchtet, was Atem hat.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
[…] Nachdem Jesus mit Mose und Elija gesprochen hat, wollen die Petrus, Jakobus und Johannes nur eins: Hütten bauen, kleine Hüttchen, so wie man heute mit Vorliebe Räume einrichtet, in denen das lebendige Wort Gottes gezähmt […]